Weingut im Weingut lässt in Halbturn den ersten Burgunder aus dem Fass – und der Weg stimmt
Quereinsteiger im Weinbau sind – ungeachtet des Lebensalters – in der Regel wie spät berufene Eltern: Die eigenen Kinder sind immer die schönsten und besten. Auch wenn ein rothaariger Kreisky-Doppelgänger (in der Vor-Mallorca-Bart-Phase) aus dem Maxi-Cosi winken sollte; bitte IMMER ins Preisen dieses verheißenen Sohnes einfallen. Und ein Loblied anstimmen, als wäre man der Vergil des Bankerts, auf den alle (?) gewartet haben! Im Falle der Neo-Winzer ist die Konversation aber nicht mit „Guddi-guddi, du Schöner!“ erledigt. Da wollen die stolzen Väter – meist in der Tat Männer; Cuvée-Wut statt Gebärneid? – Substanzielleres hören. Speziell wenn das Gegenüber vom Fach ist. Da geht man dann nicht als Passant durch, sondern ist quasi als Model-Scout für gottgleiche Säuglinge gefragt. Um die Kinderwagen-Analogie nun mal abzudrehen.
Das alles sollte man aber wissen, um die raren Ausnahmen schätzen zu wissen. Denn im Grunde will ja jeder Weinliebhaber irgendwann seinen eigenen Wein machen. Tut es dann doch jemand, will er auch Anerkennung. Und das nicht nur aus pragmatischen Gründen. Schon 300 Flaschen sind über’s Jahr doch viel zum „Wegtrinken“. Da braucht man dann auch einen kommerziellen Plan. Selbstbewußtsein der Marke „ICH mag aber Zweigelt mit 25 Gramm Restzucker!“ reicht da nicht. Außer man trinkt gerne eine Jahresproduktion Zweigelt mit 25 gr. RZ. Womit wir bei Günter Neukamp wären, der nicht nur seinen eigenen Wein hat, sondern auch einen Plan. Der beginnt beim Etikett und reicht bis zum langen Atem in Sachen Vermarktung. Dass der Halbturner hauptberuflich für Krisenprävention und Sicherheitskonzepte sorgt, ist hier nicht von Nachteil. Der kritische Blick und das Hinterfragen ist eine Geschäftsgrundlage, damit aus latenten Fehlerquellen keine Katastrophe wird. Das kann man im Natur-abhängigen Weinbau immer brauchen.
Doch zurück zu seinem Wein, den er in Partnerschaft mit Thomas Stadler vom großen Familienweingut Stadler in Halbturn als Art „Garagen-Winery“ im Weingut betreibt. Freunde waren schon die Väter, Keller-Buddies sind nun die Herren Söhne. Und dass Neukamp&Stadler es ernst meinen, zeigt die Sortenwahl ihres Projekts. Kein einziger „Blockbuster“ ist dabei. Im Gegenteil. Es wirkt fast wie eine Sammlung der underdogs des Rebenlands, wenn sich die kleinen Mengen an Pinot Noir, Cabernet Franc und Pinot Gris in den Weingärten am Heidebodens finden. Kommerziell halbwegs verwertbare Mengen gibt es vom Grauburgunder, wobei die wenigen Vorbilder im Seewinkel – etwa von Josef „Dankbarkeit“ Lentsch (Podersdorf) oder Philipp Schwarzbauer (Illmitz) – die Intensität einer Bärenumarmung haben.
So viel Wein, der wiederum nur mit Holz Struktur bekommt, muss man verkraften können. An die 15% Alkohol sind in heißen Jahren (also fast immer in der letzten Dekade) keine Seltenheit; auf Mineralik von Kalkböden braucht man auf dieser Seite des Sees nicht hoffen. Es liegt also an einem HolzeinsaGünter Neukamp PinotGris Neukamp Stadlertz, der dem französischen Vorbild Chardonnay nahekommt, für Dramaturgie am Gaumen zu sorgen. Womit wir bei den Titelbild-würdigen Babies wären – jetzt aber wirklich zum letzten Mal! Denn die gibt es eben in Halbturn nicht. Neukamp (kl. Bild links) hat drei Jahrgänge des Pinot Gris geerntet. Die Trauben des Jahrgangs 2020 waren für ihn die besten. Und: „Wir haben in diesen drei Jahren wahnsinnig viel gelernt“. Das muss man jetzt nicht Demut nennen. Aber Realismus klingt durch, wenn der Neo-Winzer über das Toasting der französischen Fässer zu sinnieren beginnt. Kurz: Man ist erst auf dem Weg. Und freut sich über Meinungen, ja über Trinkprotokolle.
Damit können wir dienen. Nachdem zwei Flaschen der Reserve namens „Ried Lehendorf” einen Abend lang unter der Beobachtung standen. Somit wurde auch klar, dass es ein ideales Temperatur-Fenster gibt. Zu kühl serviert, verliert der Halbturner Neuling seine Feinheiten, zu warm kommt der kräftige Alkohol durch. Dazwischen allerdings zeigt dieser Grauburgunder, dass man Neukamp & Stadler weiter dynamisch beobachten sollte. Denn der erste Duft ist ein floral-süßes Schwirren, das zwischen Akazienblüte und Marzipan nur schwer rhetorisch festzumachen ist. Mit Luft kommt dann die Vanille klarer hervor. Holz ist klarer Weise im Spiel, das meldet die Nase auch. Aber: Keine trockene Eichen-Note kommt dem jungen Grauburgunder aus.
Obstschnitte, auf Holz serviert: Pinot Gris Reserve 2019
Tropenfrüchte wie Ananas verbinden sich mit den zarten Röstnoten der Barriques und dem cremigen Touch zu einer Art flüssigem Vanille-Plunder. Es ist ein Duft, der einlädt. Sofern man nicht der Fraktion „mineralisch-spritziger Veltliner“ angehört. Dieser Wein hat Substanz, aber in jener Form, die sich das Wörtchen „fett“ verbietet und mit Überzeugung „stattlich“ genannt wird. Das Fass-Management, mit dem der erfreulich kritische Günter Neukamp noch im ersten Jahrgang (2018) haderte, ist bei diesem Weißen nämlich vorbildlich gelungen. Auch im Mund kommt der exotische Aromen-Cocktail, bei dem man an die gute, alte Obstschnitte samt Gelée über den Früchten denken kann, relativ leichtfüßig für seine 14% vol. daher. Saftig ohne Ende lässt sich der 2019er am Gaumen an. Das Holz tritt zurück, je mehr Zeit und Luft man dem Seewinkler im Glas gönnt.
Das Finale ist der einzige Part, wo man seine Jugend noch merkt; hier wird es leicht herb. Dieser Gerbstoff wird sich aber in den Weiten der pannonischen Frucht-Ebenen verlieren, die der 2019er aufspannt. Sie erinnern an einen reich bestückten exotischer Fruchtcocktail, in dem viel Ananas, etwas Dosenmandarine aber eben immer auch ein leicht würziger Ton zu finden sind. Gemischt hat ihn offenbar ein Italiener, der Touch Amaretto steht ihm nämlich gut.
Grandios passt dieser Wein zum Essen: Eierschwammerl auf Papardelle (erprobt, gut geheissen!), Risotto Milanese (noch nicht getestet), vor allem aber Geflügelleber-Praline oder -Terrine (geht ohne Erprobung garantiert!). Und weil gerade auch wieder Schnee fällt draußen. Der Pinot Gris Reserve „Ried Lehendorf” 2019 eignet sich auch perfekt als Weißwein im Winter. Nicht zuletzt, weil er auch wärmt wie eine Bärenfell-Decke.